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Universität als Beute

Auf Shopping Tour mit dem Konzern Volkswagen.
Freie Klasse Berlin

»Universitäten hatten, seit sie im Mittelalter gegründet wurden, immer dieselbe Funktion: die Leistungseliten oder die Kader für die jeweils gesellschaftlich dominierende Kraft zu schmieden. Das waren im Mittelalter die Kirchen, in der Neuzeit der Staat, und in der Gegenwart ist es verstärkt die Wirtschaft.«
Ein Zitat, so bedeutungsschwer, dass es als Mahnung für alle Kritiker der Ökonomisierung von Bildung in Stein gehauen werden könnte. Eine raunende Warnung aus Wolfsburg vom »MobileLife Campus«, dem Gelände der zukünftigen »Autouni« der Volkswagen AG. Schöpfer der schweren Worte ist Walther Ch. Zimmerli. Der Philosoph wurde von Volkswagen eingekauft, um die firmeneigene Universität des größten europäischen Autobauers zu errichten.
Damit kommt Volkswagen ein wenig spät. Der große Hype um die »Corporate University« ist in Deutschland vorbei, seit die Blase der New Economy geplatzt ist.
Die Diskussion um die Firmenuniversitäten wurde Ende der neunziger Jahre hauptsächlich in der Wirtschaftsfachwelt geführt. Die Strategie der Konzerne, die Ausbildung der eigenen Spitzenkräfte selbst in die Hand zu nehmen und die Körperschaften »Universitäten« zu nennen, wurde in der Presse lieber als Sprachentgleisung gesehen, als dass die zugrunde liegende gesellschaftliche Entwicklung kritisch diskutiert worden wäre. Man glaubte die »Corporate Universities« (CU) strikt getrennt vom akademischen Betrieb; sie seien schließlich nur für Unternehmenspersonal da und vermittelten lediglich unternehmensrelevantes Wissen.
Tatsächlich gaben sich die meisten CUs bisher extrem verschlossen. Selbst »Institutionen« mit 30 000 Absolventen wie die »Hamburger University« von McDonald’s haben keine besonders informativen Websites. In den USA orientieren sich die Corporate Universities seit dem Börsencrash um. Man will raus aus der Rolle des »Brokers« für unternehmensspezifisches Wissen und erkennt die Wettbewerbsvorteile, die eine globale Infrastruktur industrieller Prägung für die Expansion auf den liberalisierten Dienstleistungsmärkten im Bildungssektor haben kann.
Volkswagen setzt sich mit seiner zu spät gekommenen CU an die Spitze dieser Entwicklung und etabliert sich mit dem größten und ehrgeizigsten Universitätsprojekt in der kriselnden Bildungslandschaft. Schon die Website dieser CU ist im Ausmaß und Enthusiasmus nicht vergleichbar mit dem internationalen Standard. Hier wird mit deutscher Gründlichkeit eine »völlig neuartige Institution« imaginiert, der »Corporate Architect« führt Filmchen vor, und bei der minutiösen Beschreibung nicht existenter Studiengänge heißt es, man werde »Sustainable Mobility« studieren können und aus den Modulen »Managing Diversity« und »Managing Intellectual Capital« könne man sich den »Master of Leadership in a Global Context« zusammenbauen.
Was auf den ersten Blick wie durchgedrehte Industriepropaganda wirkt, erscheint bei genauerer Betrachtung kühl kalkuliert. VW entwirft den Prototyp für eine neue Form von Universität. Dazu kopiert der Konzern die bestehenden Modelle und Verfahren der Corporate University und bedient sich gleichzeitig kräftig bei den traditionellen Bauplänen einer akademischen Universität. Der entstehende Hybrid wird von Zimmerli als »eine Universität, die akademischer ist als eine corporate University und mehr corporate, als eine akademische Universität« beschrieben.
Der universitäre Anspruch schlägt sich vor allem in den drei Fakultäten der Autouni nieder. Die »School of Business and Administration« und die »School of Science and Technology« werden durch die »School of Humanities and Social Science« weit über den Wissenshorizont ergänzt, den man bislang zum Autobauen benötigte.
Die Autouni soll nicht nur den »Wissensvorsprung für den strategischen Wandel des Volkswagen-Konzerns zum globalen Mobilitätsdienstleister« schaffen, sondern dabei »wettbewerbsrelevantes Wissen in die Köpfe der Mitarbeiter pumpen«. Aber nicht nur in die Köpfe der Mitarbeiter. Die Autouni ist nur in einem ersten Schritt auf die »Volkswagen-Welt« fokussiert. Es wird geplant, spätestens im Jahr 2010 am Bildungsmarkt eine akkreditierte Universität mit akademischen Abschlüssen anzubieten – »zu marktüblichen Preisen«.

Wissensunternehmer
Warum aber gerade Volkswagen? War das nicht gerade der Konzern, der bodenständig, sozial, standorttreu und eng mit der Deutschland AG verflochten war? Vorbei. Die Volkswagen AG geriet Anfang der Neunziger derart in die Krise, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piech eine grundlegende Neuausrichtung des Konzerns vornehmen musste.
Gemeinsam mit dem Personalchef Peter Hartz und mit Unterstützung der Unternehmensberatungsfirma McKinsey wurden unter dem Label »AutoVision« Produktion und Beschäftigung komplett restrukturiert. Eine »AutoStadt« als Auslieferungsfreizeitpark, eine »PersonalServiceAgentur« als »Personaldrehkreuz« und eben die Autouni als »Think Tank« wurden geschaffen. Die »PersonalServiceAgentur« des »Sozialexperten« Hartz hat es weit gebracht. Und auch mit der Autouni haben der »Human Resources«-Vorstand und sein Hausphilosoph Zimmerli Großes vor: Denn, so Zimmerli: »Volkswagen verdient mit Autos kein Geld mehr.«
Ähnlich der VolkswagenStadt und der VolkswagenHartzArbeit ist die VolkswagenUniversität eine Reaktion auf die Krise der fordistischen Produktion. Es erscheint zunächst paradox, dass der Konzern mitten in der Konsolidierung beginnt, eine Universität zu gründen. Bei genauem Hinsehen aber bleibt die Autouni ein Kind der Verschlankung. Die kostenintensive Infrastruktur einer Universität will sich Volkswagen gar nicht leisten. Stattdessen knüpft die Autouni in atemberaubendem Tempo ein internationales Netz von Kooperationen mit staatlichen Universitäten und kauft sich mit phantasievollem Einsatz marktwirtschaftlicher Techniken in existierende Strukturen ein.
Ein Symbol dafür ist der Neubau der Universitätsbibliothek der TU und UDK in Berlin, der mit fünf Millionen Euro »gesponsort« wurde. Mit dem neuen Namen »Volkswagen Universitätsbibliothek« und dem Schriftzug über dem Portal schreibt sich der Konzern jetzt in Abläufe und Alltagssprache der 35 000 Studierenden ein. Selbstverständlich wurde Volkswagen bei der feierlichen Eröffnung als Retter der deutschen Bildung gefeiert. Unerwähnt blieb das Gegengeschäft zur Public-Private-Partnership: Die Unibibliothek ist jetzt auch Autounibibliothek, denn StudentInnen von Volkswagen haben in der Bibliothek den gleichen Status wie die Berliner Studierenden.
Auch beim Aufbau eines Lehrkörpers bedient sich Volkswagen lieber anderswo. Statt Professoren »ganz einzukaufen«, wie Zimmerli seine »Personalpolitik« beschreibt, kauft man sich lieber »einzelne Leistungen« ein. Die Forschung und die Wissensproduktion, die die Autouni von gängigen Corporate Universities unterscheiden und in den Olymp »echter« Universitäten befördern soll, findet ohne nachhaltige Absicherung der »Content Provider« statt und drängt die Lehrenden in die Rolle von Unternehmern in der Wissenswirtschaft. Die Erosion der Normalarbeitsverhältnisse und die Prekarisierung von universitären Existenzen ist politisch gewollt. Volkswagen setzt die Vorgaben von Agenda 2010 und Gats konsequent in Universitätspraxis um.
Noch beim Bau des »Mobile Life«-Campus in Wolfsburg bedient sich Volkswagen mithilfe röhrender Standortrhetorik bei den öffentlichen Strukturen. Das futuristische Gebäude des Corporate Architect Gunther Henn wird zwar von der Autouni geplant und als Propagandamasse eingesetzt, bezahlt wird es aber von der Wolfsburg AG, einer weiteren Public-Private-Partnership, diesmal mit der Stadt Wolfsburg. Die Autouni mietet auf ihrem eigenen Campus lediglich Flächen.
Im Prinzip realisiert Volkswagen mit der Autouni eine Universität, die sich vollständig an den Vorgaben des »Lean Management« orientiert. Kaum Personal, flexibilisierte und prekäre Arbeitsverhältnisse, gemietete Infrastrukturen, Kooperationen, Outsourcing und eine dem Franchising ähnliche »Filialpolitik« mit öffentlichen Trägern. Ohne großen Kapitaleinsatz geht der Konzern dazu mit »innovativen Finanzierungsmodellen« bei den öffentlichen Universitäten shoppen. Die Volkswagen AG erbeutet eine Elite-Universität zum Discount-preis.
Das ursprüngliche Konzept der Corporate University als »Wissensbroker« innerhalb des Unternehmens wird bei VW neu definiert als »Brücke« zwischen der »VolkswagenWelt« und dem Außen. Tatsächlich ist die Universitäts-AG eine Produktionsstraße, auf der MitarbeiterInnen in der einen Richtung mit dem Wissen der »VolkswagenWelt« indoktriniert werden und in der anderen die Abschöpfung von Wissensressourcen, »soft skills« und affektiver Arbeit der externen Studierenden organisiert wird. Volkswagen übernimmt also keine »Verantwortung« im Bildungsbereich, sondern investiert in eine Produktionsstätte der Wissensökonomie, die die Ressourcen der öffentlichen Räume ausbeutet.
Die Autouni funktioniert also nicht nur als »Think Tank«, für die Transformation von Volkswagen zum Dienstleistungskonzern, sondern stellt – nach dem Muster der PersonalServiceAgentur – ein mögliches Szenario für den Umbau des deutschen Bildungssystems dar.

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